Zwischen Überforderung und Machtmissbrauch: Warum gesunde Wissenschaft gesunde Professor:innen braucht
Die Diskussion um Machtmissbrauch an deutschen Hochschulen flammt immer wieder auf – zuletzt etwa durch die Berichterstattung in internationalen Fachmedien (Gewin, 2025) Meist steht dabei das individuelle Fehlverhalten einzelner Professor:innen im Mittelpunkt. Noch viel zu selten wird hinterfragt, inwiefern Professor:innen zugleich auch selbst Produkte eines Systems sind, das sie formt, unter Druck setzt und nicht selten schlicht vernachlässigt.
Viele stellen sich Professor:innen als unabhängige, souveräne Persönlichkeiten vor – mit viel Freiheit und Einfluss. Doch die Realität ist häufig eine andere: Zwischen Drittmittelanträgen, Gremiensitzungen, überfüllten Lehrveranstaltungen und immer neuen Verwaltungsaufgaben bleibt kaum Zeit zum Durchatmen. Die Anforderungen steigen, die Ressourcen werden knapper, und Zeit für Selbstreflexion oder um Hilfe zu suchen, wenn es zu viel wird, bleibt kaum.
Mir ist wichtig, hier nicht zu verharmlosen: Machtmissbrauch ist niemals zu entschuldigen. Aber es lohnt sich, genauer hinzuschauen, wie Überforderung, Isolation und fehlende Unterstützung dazu beitragen können, dass Menschen in toxische Muster geraten – oft ohne es zu wollen.
In diesem Artikel geht es darum,
- wie sich die Arbeitsbedingungen für Professor:innen in den letzten Jahrzehnten verändert haben,
- welche psychischen Folgen das haben kann,
- und welche Wege es gibt, sich trotz aller Herausforderungen Unterstützung zu holen – innerhalb und außerhalb des Systems.
Es ist klar, dass echte Lösungen nur durch systemische Veränderungen möglich sind – ohne sie bleibt jede Verbesserung Stückwerk. Dennoch können auch Einzelne etwas bewirken, gerade indem sie für ihr eigenes Wohlergehen sorgen und sich Unterstützung holen, bevor sie durch Überlastung in toxische Verhaltensweisen fallen.

Strukturelle Veränderungen: Wie das System Professor:innen unter Druck setzt
In den vergangenen Jahrzehnten haben Reformen wie der Bologna-Prozess und die Exzellenzinitiative die Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen grundlegend verändert – meist zu Lasten der Professor:innen. Der Bologna-Prozess (ab 1999) brachte die Modularisierung des Studiums, mehr Prüfungen und einen deutlich gestiegenen Verwaltungsaufwand und damit insgesamt deutlich mehr ihr Arbeitsaufwand für hochschullehrende (Teichler et. al, 2012).
Mit der Exzellenzinitiative (ab 2006) verschärfte sich der Wettbewerb um Drittmittel und Publikationen, während die Lehre oft in den Hintergrund rückt. Der Druck, international sichtbar zu sein und ständig neue Projekte einzuwerben, ist für viele Professor:innen zur Dauerbelastung geworden (Münch, 2015). Gleichzeitig verschlechterten sich die Betreuungsrelationen durch wachsende Studierendenzahlen und knappe Ressourcen.
Hinzu kommt die große Fluktuation im Mittelbau, hauptsächlich bedingt durch das WissZeitVG. Dadurch gehen eingespielte Arbeitsprozesse und wertvolles Wissen verloren – Kontinuität in Forschung und Lehre wird erschwert. Für Professor:innen bedeutet das: mehr Einarbeitungsaufwand, weniger Unterstützung und eine wachsende Gefahr von Überlastung und Isolation (Kreckel, 2017).
Psychologische Folgen: Dauerstress, Erschöpfung – und der Weg in toxische Muster
Die gestiegenen Anforderungen und der ständige Leistungsdruck an deutschen Hochschulen führen bei vielen Professor:innen zu chronischem Stress, Erschöpfung und einem erhöhten Risiko für Burnout (Forschung & Lehre, 2022; HoF, 2021). Typische Folgen sind Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, psychosomatische Beschwerden und eine wachsende Distanz zur eigenen Arbeit.
Unter diesen Bedingungen steigt nicht nur die Gefahr für psychische Erkrankungen, sondern auch das Risiko, dass Professor:innen toxische Verhaltensweisen entwickeln oder ihre Macht tatsächlich missbrauchen. Wer dauerhaft überlastet ist und wenig Unterstützung erfährt, kann autoritär führen, Empathie verlieren, Mitarbeitende systematisch überfordern oder Verantwortung abwälzen – bis hin zu offenem Machtmissbrauch, wie er in den letzten Jahren an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer wieder dokumentiert wurde (GEW Berlin, 2025; Spiegel, 2023). Die Strukturen der Wissenschaft – starke Hierarchien, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und große Abhängigkeiten – begünstigen solche Dynamiken zusätzlich (GEW Berlin, 2025; Winkler, 2023).
So entsteht ein Teufelskreis: Überforderung und Isolation begünstigen toxische Dynamiken, die wiederum das Arbeitsklima und die Gesundheit aller Beteiligten weiter belasten.
Wege zur Unterstützung: Was Professor:innen selbst tun können
Solange sich die Strukturen an Hochschulen nur langsam verändern, bleibt die Frage: Wie können Professor:innen im Alltag mit den Belastungen umgehen und verhindern, dass sie selbst in toxische Muster geraten? Auch wenn systemische Lösungen unerlässlich sind, gibt es individuelle Strategien, um sich zu schützen und das eigene Wohlbefinden zu stärken.
Viele Hochschulen bieten mittlerweile interne Beratungs- und Unterstützungsangebote an, etwa durch Supervision, Coaching oder psychosoziale Beratung. Externe Coaches und Supervisor:innen können helfen, die eigene Rolle zu reflektieren, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten und neue Perspektiven zu gewinnen. Studien zeigen, dass solche Angebote nicht nur das Risiko für Burnout senken, sondern auch die Führungskompetenz und das Arbeitsklima nachhaltig verbessern können (HoF, 2021).
Auch der Austausch mit Kolleg:innen – etwa in Peer-Gruppen, Netzwerken oder regelmäßigen kollegialen Beratungen – kann entlasten und neue Lösungswege eröffnen. Wer frühzeitig auf Warnsignale achtet, Belastungsgrenzen ernst nimmt und Unterstützung sucht, schützt nicht nur sich selbst, sondern trägt auch zu einer gesünderen Wissenschaftskultur bei.
Wichtige Ansätze für mehr Selbstfürsorge:
- Professionelle Unterstützung durch Coaching oder Supervision in Anspruch nehmen
- Eigene Belastungsgrenzen erkennen und offen kommunizieren
- Arbeitsprozesse bewusst gestalten, z. B. durch Priorisierung und Delegation
- Austausch und Vernetzung mit Kolleg:innen suchen
- Angebote zur Resilienzförderung und Stressbewältigung nutzen
Diese Maßnahmen ersetzen keine strukturellen Reformen – aber sie können helfen, die Zeit bis dahin gesünder und reflektierter zu gestalten.
Fazit: Zwischen System und Selbstfürsorge
Die Herausforderungen, mit denen Professor:innen an deutschen Hochschulen heute konfrontiert sind, sind vor allem das Ergebnis systemischer Fehlentwicklungen. Ohne grundlegende strukturelle Reformen – etwa bessere Betreuungsrelationen, mehr dauerhafte Stellen im Mittelbau und eine Entlastung von Verwaltungsaufgaben – wird sich an der Überlastung und dem Risiko von Machtmissbrauch wenig ändern.
Dennoch bleibt es wichtig, dass Einzelne Verantwortung für ihr eigenes Wohlergehen übernehmen. Wer frühzeitig auf Warnsignale achtet, sich Unterstützung sucht und offen über Belastungen spricht, schützt nicht nur sich selbst, sondern setzt auch ein Zeichen für eine gesündere Wissenschaftskultur. Selbstfürsorge, Coaching und kollegiale Beratung sind keine Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck von Professionalität und Verantwortungsbewusstsein.
Echte Veränderung kann nur dann entstehen, wenn systemische Reformen und individuelle Selbstfürsorge zusammenkommen. Solange die Strukturen toxische Dynamiken begünstigen, bleibt jede Einzelanstrengung ein Kampf gegen Windmühlen. Aber wer Verantwortung für sich selbst übernimmt und sich Unterstützung holt, sendet ein klares Signal: Gesundheit, Respekt und gute Führung sind kein Luxus, sondern Voraussetzung für echte wissenschaftliche Exzellenz. Wissenschaft braucht nicht nur kluge, sondern vor allem gesunde Köpfe – und Menschen, die bereit sind, für bessere Bedingungen einzustehen: für sich selbst und für alle, die nach ihnen kommen.
Quellen:
Teichler, Ulrich; Briedis, Kolja; Brandenburg, Ulrich; Kehm, Barbara M.; Krücken, Georg; Metzger, Christoph; Rehn, Tanja; Schaeper, Hildegard; Schulmeister, Rolf; Ziegele, Frank (Hrsg.) (2012): Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung. Analysen und Impulse für die Praxis. CHE Arbeitspapier Nr. 148, Gütersloh: Centrum für Hochschulentwicklung.
https://www.che.de/wp-content/uploads/upload/CHE_AP_148_Bologna_Prozess_aus_Sicht_der_Hochschulforschung.pdf
Forschung & Lehre (2025): Burnout an Hochschulen.
https://www.forschung-und-lehre.de/karriere/burnout-an-hochschulen-6874
HoF – Institut für Hochschulforschung (2021): Burnout-Prävention bei Professor/innen.
https://www.hof.uni-halle.de/journal/texte/17_2/Jackenkroll_Scherm.pdf
GEW Berlin (2025): Machtmissbrauch in der Wissenschaft.
https://www.gew-berlin.de/aktuelles/detailseite/erst-brodelte-es-im-netz-und-dann-im-hoersaal
Gewin, V. (2025). Can Germany rein in its academic bullying problem? Nature, 641(8062), 545–547. https://www.nature.com/articles/d41586-025-01207-8
Kreckel, R. (2016): Zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten.
https://www.bzh.bayern.de/fileadmin/news_import/1-2-2016-Kreckel.pdf
Münch, R. (2015): Akademischer Kapitalismus. Zur politischen Ökonomie der Hochschulreform.
https://www.pedocs.de/volltexte/2024/28968/pdf/Muench_2024_Alle_Macht_dem_Praesidium.pdf
Spiegel (2023): Machtmissbrauch an Hochschulen: Dutzende Professoren fordern Lösungen.
https://www.spiegel.de/panorama/bildung/machtmissbrauch-an-hochschulen-dutzende-professorinnen-und-professoren-fordern-von-bildungsministerin-stark-watzinger-loesungen-a-5e8f9fcb-f7e2-43a6-a004-a6f52f01fd44
ver.di (2023): Profs gegen Machtmissbrauch.
https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/mein-arbeitsplatz/hochschulen/++co++be78bd60-068c-11ee-8276-001a4a160100
Winkler, Martina (2023): Professor*innen gegen Machtmissbrauch an Universitäten. In: Zeitgeschichte-online.
https://zeitgeschichte-online.de/themen/professorinnen-gegen-machtmissbrauch-universitaeten
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